Offener Brief an Bundesminister Robert Habeck
Das PHM Deutschland ist beteiltigt!
An
Bundesminister Robert Habeck
Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
Solidarische Covid-19-Impfstoffverteilung: Deutsche Zivilgesellschaft besorgt über
Meinungswechsel zur Aussetzung von geistigen Eigentumsrechten
Sehr geehrter Herr Bundesminister Habeck,
als zivilgesellschaftliche Organisationen, die in den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit,
Menschenrechte, globale Gesundheit und humanitäre Hilfe aktiv sind, haben wir Ihre Aussagen in
der Bundespressekonferenz vom 26.01.22 zu globaler Impfstoffproduktion und -verteilung mit
Irritation zur Kenntnis genommen.
Durch unsere Arbeit in Projekten und mit Partnerorganisationen im Globalen Süden beobachten wir
die verheerenden Auswirkungen der Covid-19-Pandemie unmittelbar. Seit Pandemiebeginn setzen
wir uns für eine bedarfsgerechte globale Verteilung und Produktion der lebensrettenden Covid-19-
Technologien ein, um Menschenleben weltweit zu schützen und zu retten. Vor weniger als einem
Jahr waren auch Sie der Ansicht, dass eine Aussetzung von geistigen Eigentumsrechten wie Patenten
(‘Patentaussetzung’) nötig sei, um eine bedarfsgerechte Produktion von Impfstoffen für Menschen
weltweit sicherzustellen. Diese zeitlich begrenzte Aussetzung wird von über 100 Staaten weltweit
mit dem TRIPS Waiver auf Ebene der Welthandelsorganisation (WTO) gefordert. In der
Bundespressekonferenz gaben Sie letzte Woche bekannt, Ihre Position zur Patentaussetzung nach
Konsultation mit Unternehmen geändert zu haben. Im Folgenden möchten wir kritisch auf einige
Ihrer Argumente reagieren:
Zu Ihrem Argument, der Aufbau von Produktionskapazitäten im Globalen Süden brauche zu lange,
und die Patentaussetzung sei daher kein wirksames Instrument für die Versorgung mit mRNA-
Impfstoffen:
- Der TRIPS Waiver kann in Kombination mit einem umfassendem Technologie- und
Wissenstransfer zu einer schnellen Ausweitung der Produktionskapazitäten im Globalen Süden
führen. Hierzu fordert auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Hersteller auf,
beispielsweise im Rahmen des WHO mRNA-Technologietransfer Hub. - Um in die lokale Produktion zu investieren, brauchen qualifizierte Hersteller im Globalen Süden die Rechtssicherheit, die der TRIPS Waiver schaffen würde.
- Durch den TRIPS Waiver würden produktionshemmende Patente und andere geistige Eigentumsrechte nicht nur von Impfstoffen, sondern auch von Medikamenten, Diagnostika, Schutzausrüstung und hierfür benötigten Materialen ausgesetzt. All diese Covid-19-Technologien sind notwendig, um die Pandemie global einzudämmen und Menschenleben zu schützen.
Zu Ihrem Argument, die Produktion der mRNA-Impfstoffe sei zu kompliziert, als dass Hersteller im Globalen Süden diese produzieren können:
- Insbesondere mRNA-Impfstoffe sind gut geeignet, um mittels eines umfassenden
Technologietransfers schnell in die Produktion einsteigen zu können: Bei der Herstellung dieser
Impfstoffe handelt es sich um einen synthetischen Prozess, der die Standardisierung und damit
den Transfer auf weitere Produktionsstätten in kurzer Zeit enorm vereinfacht. BioNTech hat
gezeigt, dass der Aufbau und die Inbetriebnahme neuer Produktionsstätten innerhalb von sechs
Monaten möglich sind. Mittlerweile wurden rund 120 potentielle Hersteller in Lateinamerika,
Asien und Afrika identifiziert, die für einen mRNA-Technologietransfer in Frage kämen. Die
technologischen und personellen Voraussetzungen sind vorhanden, allein der Wille zur
Kooperation der beiden mRNA-Hersteller BioNTech und Moderna fehlt. - Sie weisen auf Schwierigkeiten mit Kühlketten bei der lokalen Impfstoffproduktion hin. Dieses
Argument ist insofern nicht zutreffend, als dass diese Kühlbedingungen auch existieren, wenn
Impfstoffe importiert werden. Darüber hinaus müssen auch andere Impfstoffe, etwa der Ebola-
Impfstoff, bei extrem niedrigen Temperaturen gekühlt werden und Erfahrungen damit sind vor
Ort klar vorhanden.Zu Ihrem Vorschlag, in Absprache mit Unternehmen Impfstoffe zum Selbstkostenpreis herzustellen
und diese an ärmere Länder durch einen Finanzmechanismus zu “sponsern”: - Die Zustimmung zum TRIPS Waiver verhindert nicht, dass Impfstoffe zum Selbstkostenpreis
abgegeben werden könnten. - In 2021 lag der globale Bedarf an Covid-19-Impfstoffen weit über dem, was die wenigen
Hersteller produzieren konnten. Auch im Jahr 2022 ist dies zu befürchten. Impfstoffe durch
eigens eingerichtete Finanzierungsinstrumente zu finanzieren, kann keine ausreichende
Impfstoffversorgung sicherstellen. - Diese Maßnahme würde die politische, finanzielle und logistische Abhängigkeit des Globalen
Südens von einigen wenigen reichen Länder und den Impfstoffherstellern weiter verschärfen. - Darüber hinaus bleibt unklar, wie und von wem der Selbstkostenpreis ermittelt würde. Hier wäre
vor allem Transparenz zu den Kosten von Forschung, Entwicklung und Produktion von Seiten der
Hersteller nötig, dies wird aber auch mit Verweis auf Geschäftsgeheimnisse von den Firmen
abgelehnt.Um es ganz klar zu sagen: Durch die fortgesetzte Blockade des TRIPS Waivers wird das
Aufrechterhalten der Monopolstellung der Covid-19-Impfstoffhersteller und die Abhängigkeit der
Länder im Globalen Süden von wenigen reichen Ländern weiter verschärft. Auch der faire Zugang zu
Covid-19-Medikamenten, Tests und anderen Produkten ist aufgrund des Patenschutzes und
geistigen Eigentumsrechten blockiert. Die Folgen dieses unsolidarischen Handelns sind auch aus
epidemiologischer sowie aus weltwirtschaftlicher Sicht verheerend. Bei den inzwischen 15 Monaten
der Verhandlungen auf WTO-Ebene zum TRIPS Waiver hat sich die vorige deutsche Bundesregierung
als klarer Blockierer erwiesen. Wir fordern Sie als für diese Verhandlungen zuständigen Minister auf,
diese Blockade aufzugeben und an konstruktiven Lösungen mitzuwirken.
Als zivilgesellschaftliche Organisationen, die teilweise seit Jahrzehnten zu Zugang zu
Gesundheitstechnologien und damit auch zu produktionshemmenden geistigen Eigentumsrechten
arbeiten, erwarten wir gerade von Ihrer Partei, dass nicht nur die Industrie, sondern auch wir als
Vertreter*innen der Zivilgesellschaft in Konsultationen einbezogen werden. Gerne stehen wir als
hier zeichnenden Organisationen für den Dialog zu Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Die zeichnenden Organisationen
220202_Offener Brief Zivilgesellschaft an Bundesminister Habeck zu Patentaussetzung_Website