Organentnahme und das Recht auf freie Entscheidung
Kurz vor der Bundestagswahl sollen noch Gesetzentwürfe zum sensiblen Thema »Organspende« im Schnellverfahren im Parlament beraten und abgestimmt werden – die brisanten Ziele: Einführung einer sogenannten Widerspruchsregelung, außerdem massive Ausweitung von Organentnahmen bei Gesunden. BioSkop e.V. warnt dringend vor beiden Vorhaben. Der gemeinnützige Verein, kritischer Beobachter des bioethischen Themenfelds, fordert in einer Stellungnahme die Parlamentarier*innen auf, endlich fremdbestimmte Organentnahmen per Gesetz ausnahmslos auszuschließen. Außerdem dürften nur noch solche Materialien zur »Organspende« aus Steuergeldern finanziert werden, die nachweislich geeignet sind, neutral und ergebnisoffen aufzuklären.
STELLUNGNAHME von BioSkop – Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften e.V. zur geplanten Einführung der Widerspruchsregelung im Transplantationsgesetz | 1. Dezember 2024
Gesetze sollen Wertvorstellungen einer Gesellschaft ausdrücken und normieren; vorausgehen sollte jeweils eine breite gesellschaftliche Debatte. Im Schnellverfahren – nämlich noch vor der vorzeitigen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 – soll der Bundestag nun über zwei kürzlich eingebrachte
Gesetzentwürfe (BT-Drucksachen 20/12609 + 20/13804) beraten und abstimmen. Beide erklären „Organspende” zum neuen Normalfall in Deutschland – bedeutet konkret: Alle Menschen sollen so lange als potenzielle Organspender*innen angesehen werden können, bis sie ihren Widerspruch ausdrücklich dokumentiert haben. Schweigen soll auch als Zustimmung gewertet werden dürfen.
BioSkop lehnt solche übergriffigen Vorhaben ab. Sehr problematisch finden wir auch den kaum diskutierten Gesetzentwurf zur Ausweitung von „Lebendorganspenden” (BT-Drucksache 20/13252). BioSkop plädiert dafür, Organentnahmen nur dann zuzulassen, wenn der/die Betroffene zuvor nach dokumentierter seriöser Aufklärung eingewilligt hat. Eine Neuregelung im Sinn einer solchen engen Zustimmungslösung haben wir wiederholt gefordert, um jegliche Fremdbestimmung ausschließen zu können; sie ist überfällig und sollte in der nächsten Legislaturperiode endlich eingeführt werden.
Einige Kritikpunkte und Anregungen sowie notwendige Alternativen stellen wir hier zur Diskussion; Sie können unsere kurze Stellungnahme gern weiterverbreiten.
I Fragwürdige Begriffe: „Organspende” und „Organmangel”
Der Begriff „Organspende” ist in der politischen, medizinischen, werbenden Kommunikation allgegenwärtig, wenn es darum geht, chirurgische Eingriffe zu umschreiben, bei denen Menschen Körperstücke entnommen werden, etwa Nieren, Leber, Herz, Lunge, Bauchspeicheldrüse, Darm. Eine Spende ist, zivilrechtlich gesehen, eine Schenkung. Der Begriff meint laut § 516 BGB eine freiwillige, unentgeltliche, einvernehmliche „Zuwendung, durch die jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert”. Gespendet bzw. verschenkt werden also Geld und Sachen. Vor diesem Hintergrund ist der ständig kommunizierte, emotionalisierende Begriff der „Organspende” grundsätzlich zu hinterfragen: Gehören der Körper, seine Teile und Materialien tatsächlich zum Vermögen des Einzelnen, die nach Belieben verschenkt oder auch verkauft werden können?
Das Transplantationsgesetz (TPG) untersagt zwar den Handel mit menschlichen Organen und Geweben, geht aber faktisch davon aus, dass sie eine disponible Sache seien. Und § 1 TPG enthält eine eindeutige wie einseitige Zweckbestimmung: „Ziel des Gesetzes ist es, die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern.” Auch diese – nicht neutrale – politische Positionierung zu einer höchstpersönlichen Thematik ist fragwürdig. Zumal ja unstrittig ist, dass von einer „Spende” nur gesprochen werden kann, wenn sie unentgeltlich und freiwillig gewährt wurde.
In Appellen und Werbekampagnen pro „Organspende” wird regelmäßig auch auf den so genannten „Organmangel” verwiesen, den es zu beheben oder zu lindern gelte. Auch dieses sprachliche Bild, das offensichtlich emotionalisieren soll, ist irreführend. Menschliche Organe sind keine beliebig beschaffbaren Produkte. Sie sind auch keine Arzneimittel oder Medizinprodukte, die auf Bestellung produziert werden können und auf die jede/r Krankenversicherte zeitnah einen Anspruch hat.
II Fremdbestimmung ist nach geltender Rechtslage möglich – und überwiegt in der Praxis
Grundsätzlich gilt im Arzt-Patienten-Verhältnis: Ein Eingriff, von der Blutentnahme bis zur Operation, darf nur mit ausdrücklicher Einwilligung nach seriöser Aufklärung der einwilligungsfähigen Patient*innen erfolgen. Im Transplantationsbereich läuft es oft anders: Zum einen sind die potenziellen Organgeber*innen zum Zeitpunkt der Entnahme-Entscheidung „hirntot”, sie können dann gar nicht mehr persönlich informiert werden und unmittelbar in den Eingriff einwilligen. Zum anderen sind Organentnahmen ohne dokumentierte schriftliche Vorab-Einwilligung der Patient*innen nach wie vor die in Deutschland überwiegende Praxis, Fremdbestimmung ist hier also verbreitet – und nach geltendem Transplantationsgesetz (TPG) gemäß § 4 dann zulässig, wenn Angehörige des „Hirntoten” stellvertretend einer Explantation zustimmen. Gemäß eigenen Wertvorstellungen oder wenn sie erklären, die Organentnahme entspreche dem mündlichen oder vermuteten Willen des für „hirntot” erklärten Patienten. „In der Praxis liegt sogar bei weniger als 20 Prozent der Fälle möglicher Organspenderinnen und -spender ein schriftlich dokumentierter Wille zur Organspende vor. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle müssen die Angehörigen entscheiden”. So liest man es auch im Gesetzentwurf des Bundesrates zwecks „Einführung der Widerspruchslösung” (BT-Drucks. 20/12609). Das derzeit geltende Verfahren wird „erweiterte Zustimmungslösung” genannt.
III Die geplanten Widerspruchsregelungen und mögliche Effekte
Nun gibt es zwei Gesetzentwürfe zwecks Änderung der geltenden Einwilligungsregeln im TPG, über die noch vor der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar 2025 abgestimmt werden soll. Der erste, eingebracht vom Bundesrat, will eine Widerspruchslösung (BT-Drucks. 20/12609) im TPG eingeführt sehen, der zweite, eingebracht von Bundestagsabgeordneten aus mehreren Fraktionen, begehrt eine Widerspruchsregelung (BT-Drucks. 20/13804). Beide Entwürfe kommunizieren im Kern die gleichen Ziele: Künftig sollen alle Menschen in Deutschland grundsätzlich als Organspender gelten, solange sie dem nicht ausdrücklich widersprechen. Gibt jemand keine Erklärung ab, zu dokumentieren möglichst in dem im März 2024 gestarteten, bislang aber kaum befüllten, zentralen Organspende-Register (rund 210.000 eingetragene Erklärungen, Stand: 25.11.2024), soll sein/ihr Schweigen auch als Zustimmung zur Organentnahme im Fall des „Hirntods” gewertet werden dürfen. Entscheidend bleibt aber weiterhin, ob Angehörige der Organentnahme zustimmen oder nicht.
Der politisch erhoffte Effekt solch subtilen Drucks ist es, Menschen zur Abgabe einer Erklärung zur „Organspende”-Bereitschaft zu bewegen. Sie sollen es offenbar als Pflicht empfinden, ihre Haltung zu offenbaren. Und wenn viele (oder auch nur wenige) Menschen tatsächlich eine Erklärung im digitalen Organspenderegister dokumentiert haben, könnte der Gesetzgeber irgendwann geneigt sein, nachzuhelfen und derartige Einträge, die bislang freiwillig sind, zur Pflicht zu erklären – auch wenn ein Zwang, sich erklären zu müssen, zu zahlreichen Verfassungsbeschwerden führen dürfte.
Den Gesetzesmacher*innen geht es offensichtlich um Symbolik; sie wollen die höchstpersönliche Bereitschaft zur Organentnahme gesellschaftlich und moralisch als „normal” aufgewertet sehen: „Mit der Einführung einer Widerspruchslösung würde die Organspende der Normalfall und nicht mehr der durch ausdrückliche Zustimmung herbeizuführende Sonderfall”, heißt es im Gesetzentwurf des Bundesrates. Im interfraktionellen Entwurf, unterschrieben von rund 220 Parlamentarier*innen, steht, mit der Einführung einer Widerspruchsregelung solle es „zu einer Selbstverständlichkeit werden, sich zumindest einmal im Leben mit dem Thema Organ- und Gewebespende auseinanderzusetzen und dazu eine Entscheidung zu treffen”. Es solle „perspektivisch eine gesellschaftliche Kultur der Organ- und Gewebespende in Deutschland geschaffen werden”.
Am praktischen Vorgehen im Ernstfall des „Hirntods” würden beide Gesetzentwürfe im Kern aber kaum was ändern. Sie bedeuten jedenfalls nicht, dass Menschen, die keine Erklärung zur Organentnahme abgegeben haben, nach Feststellung des „Hirntods” zwecks Organentnahme quasi automatisch explantiert würden. Vielmehr würde auch künftig im Prinzip so gehandelt werden müssen, wie das nach geltender – Fremdbestimmung ja ermöglichenden – Rechtslage vorgeschrieben ist. Liegt keine Erklärung des potenziellen, volljährigen Organgebers vor, müssten auch gemäß der vorgeschlagenen Widerspruch-Konzepte letztlich die Angehörigen entscheiden.
IV Kaum bemerkt, aber brisant: Gesetzentwurf zur Ausweitung der „Lebendorganspende”
Lässt sich ein gesunder Mensch eine Niere oder ein Teilstück der Leber herausoperieren, um es von Transplanteur*innen auf einen Patienten übertragen zu lassen, nennen Fachleute dieses Vorgehen „Lebendorganspende”. Dass solche fremdnützigen Eingriffe, die ja nicht die Heilung der Organgeber*innen bezwecken, für diese „mit Risiken verbunden” sein können, steht auch auf der Homepage des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Bisher ist die Organentnahme bei gesunden Menschen gemäß TPG nur zulässig, wenn im Zeitpunkt der Explantation kein geeignetes Organ eines „hirntoten” Menschen verfügbar ist. Diese von Fachleuten als „Subsidiaritätsgrundsatz” bezeichnete Regel könnte auch noch kurz vor der Bundestagswahl ohne großes Aufsehen gestrichen werden – wenn ein Gesetzentwurf der Ex-Ampelregierung aus SPD, Grünen, FDP zwecks massiver Förderung von „Lebendorganspenden” (BT-Drucks. 20/13252), vorgelegt von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, eine Mehrheit im Bundestag finden sollte. Zudem will Lauterbach den Kreis möglicher Spender*innen und Empfänger*innen fremder Nieren erheblich ausweiten. Bisher ist laut TPG die Lebendorganspende nur erlaubt unter Verwandten, Eheleuten und anderen Menschen, die sich offensichtlich persönlich nahestehen. Nun soll per Gesetz ein „nationales Programm für die Vermittlung und Durchführung” von bisher nicht erlaubten „Überkreuzlebendnierenspenden” aufgebaut werden. Damit würde laut BMG „ermöglicht, dass die Niere einer Spenderin/eines Spenders nicht nur an den Partner/die Partnerin gehen kann, sondern an eine Empfängerin/einen Empfänger eines zweiten Paares, das seinerseits eine Niere spendet”.
Eine gesellschaftliche und parlamentarische Debatte zu diesen und weiteren Ausweitungen im (mit Begründung) 80 Seiten langen Gesetzentwurf ist notwendig, steht aber noch aus – und ist bis zur Bundestagswahl im Februar 2025 auch nicht mehr seriös zu führen. Unter die Lupe zu nehmen wären vor einer solchen Entscheidung zum Beispiel: gesundheitliche Risiken und (Spät-)Folgen von „Lebendorganspenden” für die Organgeber*innen, Qualität der Nachsorge, wissenschaftliche Untersuchungen über die Praxis der Aufklärung potenzieller Organgeber*innen und -empfän-ger*innen, Sicherung der Freiwilligkeit von Entscheidungen, Vermeidung subtilen Drucks, faktischer Ausschluss einer möglichen Kommerzialisierung von Organentnahmen bei Gesunden.
V Die notwendige Alternative: Fremdbestimmung ausschließen, Neutralität wahren
Wir fordern: Fremdbestimmte Explantationen darf es nicht mehr geben! § 4 TPG, der die Organentnahme „mit Zustimmung anderer Personen” regelt, muss ersatzlos gestrichen werden.
Wer zu Lebzeiten sein oder ihr „nein” zur Organentnahme nicht dokumentiert hat oder zu seiner/ihrer Haltung geschwiegen hat, darf auf keinen Fall (nach Eintritt des „Hirntods”) explantiert werden, eine stellvertretende Entscheidung durch andere Personen darf nicht mehr zulässig sein. Der Gesetzgeber sollte endlich beschließen, dass Organentnahmen ausnahmslos nur dann legal sind, wenn der betroffene Patient zuvor schriftlich eingewilligt hatte – und zwar nach dokumentierter, ergebnisoffener, ausführlicher, kostenfreier Aufklärung durch anerkannte unabhängige Stellen. Um sicherzustellen, dass eine solche Erklärung möglichst dem aktuellen Willen entspricht, sollte eine schriftliche Vorab-Einwilligung in die Organentnahme maximal drei Jahre alt sein, wenn sie rechtsverbindlich sein soll. Wer seine Bereitschaft zur Organentnahme erklären und bestätigen will, müsste dann jeweils aktiv werden und seine Erklärung pro Organentnahme regelmäßig aktualisieren. Das kann auch dazu beitragen, sich über aktuelle Entwicklungen in der Transplantations-medizin auf dem Laufenden zu halten, was eine informierte Entscheidung stützen kann. Eine Verpflichtung oder gar Zwang, die persönliche Haltung zur Organentnahme zu dokumentieren, darf es nicht geben.
Der Gesetzgeber muss zudem Sorge dafür tragen, dass Kampagnen zum Thema Organ-entnahme und Transplantationsmedizin nur noch dann aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, wenn sie neutral aufklären und nachweislich die Ergebnisoffenheit einer Entscheidung für oder gegen eine Organentnahme betonen. Emotionalisierung ist gerade bei diesem sensiblen Thema zu vermeiden, der sachlich nicht korrekte Begriff der „Spende” sollte hier nicht weiter benutzt werden. Die Qualität der staatlichen Aufklärungskampagnen und -materialien ist unabhängig, unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft, regelmäßig zu evaluieren. Moralisierende Bewertungen, denen zufolge die individuelle Bereitschaft pro „Organspende” die gesellschaftliche „Normalität” sein soll, sind schon angesichts der tatsächlichen Transplantationszahlen nicht korrekt. Sie polarisieren und untergraben das Vertrauen, dass der Staat in dieser sehr persönlichen Frage neutral sei.
Vor diesem Hintergrund sollte das in § 1 TPG benannte Ziel des Gesetzes, „die Bereitschaft zur Organspende in Deutschland zu fördern”, korrigiert werden. Neutral wäre eine Formulierung wie diese: „Zweck des Transplantationsgesetzes ist es, die Rechtsgrundlagen für Organentnahmen und Transplantationen in Deutschland zu regeln.”
Weitere Informationen
https://www.bioskop-forum.de/bioskop-themen/koerper-als-rohstoff/transplantationsmedizin
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