Erklärung für ein ziviles Gesundheitswesen
„Die Prävention von Kriegen, ob konventionell oder nuklear, ist die beste Medizin. Ich halte alle Maßnahmen und Vorkehrungen für gefährlich, die auf das Verhalten im Kriegsfall vorbereiten sollen. Nur kriegspräventive Maßnahmen kann ich vertreten. Ich lehne deshalb als Beschäftigte/Beschäftigter im Gesundheitswesen jede Schulung oder Fortbildung in Kriegsmedizin ab und werde mich daran nicht aktiv beteiligen. Ich lehne weiterhin jede Maßnahme ab, die einer Kriegsmedizin den Vorrang vor der zivilen medizinischen Versorgung gibt. Das ändert nichts an meiner Verpflichtung und Bereitschaft, in allen Notfällen medizinischer Art meine Hilfe zur Verfügung zu stellen und auch weiterhin meine Kenntnisse in der Notfallmedizin zu verbessern.“
Begründung
Im Geiste der sogenannten „Zeitenwende“ soll das Gesundheitswesen auf kriegerische Auseinandersetzungen vorbereitet werden. Deutschland könnte laut Militärszenarien Aufmarsch- und Durchzugsgebiet von NATO-Soldat*innen in einem Krieg mit Russland an der osteuropäischen Grenze werden. Die Bundeswehr rechnet mit bis zu 1.000 verletzten NATO-Soldat*innen täglich über Jahre hinweg. Zudem wird in solchen Szenarien eine massive Flüchtlingswelle von verletzten Zivilist*innen erwartet. Dem stehen bundesweit fünf Bundeswehrkrankenhäuser mit insgesamt 1.800 Betten gegenüber – eine Kapazität, die in zwei Tagen erschöpft wäre. Das zivile Gesundheitssystem müsste einen erheblichen Teil seiner räumlichen und personellen Ressourcen dem Militär zur Verfügung stellen. Sowohl Einrichtungen der stationären Krankenhausversorgung als auch ambulante Einrichtungen wie Praxen wären in die Versorgung von Militärs und Verwundeten maximal eingebunden. Das deutsche Gesundheitswesen wäre sowohl im Krieg als auch danach überfordert.
Im Kriegsfall würden automatisch Notstandsgesetze in Kraft treten, die weitreichende Grundrechtseinschränkungen wie Dienstverpflichtungen im Gesundheitswesen und anderen Bereichen möglich machen. Gesundheitsfachkräften droht ein Rollenkonflikt, wenn sie in militärische Strukturen eingebunden werden. Triage im Krieg orientiert sich an der Aufrechterhaltung der „Kriegsfähigkeit“: Die Behandlung von Soldat*innen hätte Priorität vor zivilen Patient*innen. Insbesondere leicht verletzte Soldat*innen würden bevorzugt versorgt, um diese schnell wieder einsatzfähig zu machen. Diese sogenannte „Reverse Triage“ würde eine grundlegende Umkehr der in Friedenszeiten geltenden ethischen Prinzipien der Medizin bedeuten. Aus Sicht der IPPNW ist eine sinnvolle medizinische Vorbereitung auf einen konventionellen Krieg in unserem dicht besiedelten Industrieland mit seiner hochempfindlichen Infrastruktur kaum möglich. Dies gilt in besonderem Maße für einen Atomkrieg. Auch wenn Katastrophenübungen dies glauben machen sollen: Es gibt keine sinnvolle medizinische Vorbereitung auf einen Atomkrieg. Eine medizinische Hilfe wäre dann nicht mehr möglich. Aus Sicht der IPPNW erhöht die logistische Vorbereitung auf einen möglichen Krieg die Bereitschaft, ihn auch zu führen.
Daher setzt sich die IPPNW entschieden gegen eine Militarisierung des Gesundheitswesens ein. Sie informiert über die katastrophalen gesundheitlichen Folgen von Kriegen und setzt sich für gewaltfreie Konfliktlösungen ein. Die einzige Möglichkeit, Leid und Tod durch Kriege zu verhindern, ist Friedenssicherung. Das Gesundheitswesen darf nicht der Logik und der Befehlsgewalt der Bundeswehr unterworfen werden. Die Aufgabe von Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und allen Beschäftigten des Gesundheitswesens bleibt die Versorgung der Patient*innen – nicht die Unterordnung unter militärische Planungen. Sowohl in der schulischen und universitären Ausbildung von Gesundheitspersonal als auch in der beruflichen Fort-und Weiterbildung in der Notfall-und Katastrophenmedizin muss die zivile Organisation gewahrt bleiben. Unser Gesundheitswesen muss zivil bleiben.
