Charta
Die Gesundheitscharta der Menschen
Im Dezember 2000 trafen sich 1600 Menschen in Bangladesh zur Weltgesundheitsversammlung von unten, um Wege zu einer besseren Gesundheit zu debattieren. Die VertreterInnen von Gesundheitsinitiativen und Basisgruppen aus 93 Ländern tauschten Informationen aus und vereinbarten eine engere Zusammenarbeit. Als Basis soll die hier wiedergegebene Gesundheitscharta der Menschen dienen, die auf dem Treffen einstimmig verabschiedet wurde. Sie ist eine Einladung zur Mitarbeit und ein Aufruf zum Handeln. Wir haben uns um eine möglichst sinngetreue und genaue Übersetzung bemüht, im Zweifelsfall gilt das englische Original (Red.).
Gesundheit ist eine soziale, ökonomische und politische Aufgabe und ist vor allem ein Menschenrecht. Ungleichheit, Armut, Ausbeutung, Gewalt und Ungerechtigkeit sind Ursache von Krankheit und Tod bei all denen, die in Armut oder am Rande der Gesellschaft leben. Gesundheit für Alle bedeutet, mächtige Interessen herauszufordern, der Globalisierung entgegenzuwirken und politische wie ökonomische Prioritäten drastisch zu verschieben.
Diese Charta trägt die Handschrift derer, die bisher kaum eine oder gar keine Stimme hatten. Sie ermutigt Menschen, eigene Lösungen zu entwickeln und lokale Behörden, nationale Regierungen, internationale Organisationen und Unternehmen zur Verantwortung zu ziehen.
Die Vision
Gerechtigkeit, eine ökologische nachhaltige Entwicklung und Frieden stehen im Zentrum unserer Vision einer besseren Welt – einer Welt in der ein gesundes Leben für Alle eine Realität ist; einer Welt, die alles Leben in seiner Vielfalt respektiert, schätzt und feiert; einer Welt, die es ermöglicht, dass Menschen ihre Talente und Fähigkeiten frei entfalten, um sich gegenseitig zu bereichern; einer Welt, in der die Stimme der Menschen all die Entscheidungen lenkt, die unser Leben gestalten.
Es gibt mehr als genug Ressourcen, um diese Vision zu erreichen.
Die Gesundheitskrise
„Krankheit und Tod machen uns jeden Tag zornig. Nicht, weil es Menschen gibt, die krank werden oder weil es Menschen gibt, die sterben. Wir sind zornig, weil viele Krankheiten und Tode ihre Ursache in der Wirtschafts- und Sozialpolitik haben, die uns aufgedrängt wird.“ (Eine Stimme aus Zentralamerika)
In vergangenen Jahrzehnten hat der weltweite ökonomische Wandel die Gesundheit von Menschen und ihren Zugang zu medizinischer Versorgung oder anderen Sozialleistungen tiefgreifend verändert.
Trotz nie da gewesenen Reichtums in der Welt, nehmen Armut und Hunger zu. Die Kluft zwischen armen und reichen Nationen ist größer geworden, genauso wie die Ungleichheit innerhalb der Länder, zwischen sozialen Schichten, zwischen Männern und Frauen und zwischen Jung und Alt.
Ein großer Teil der Weltbevölkerung hat immer noch keinen Zugang zu Nahrung, Bildung, sauberem Trinkwasser, sanitären Einrichtungen, Obdach, Land und seinen Bodenschätzen, Arbeit und Gesundheitseinrichtungen. Diskriminierung herrscht weiterhin vor. All das wirkt sich sowohl auf das Auftreten von Krankheiten als auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung aus.
Die natürlichen Ressourcen unseres Planeten werden in alarmierendem Ausmaß ausgebeutet. Die daraus resultierende Zerstörung der Umwelt bedroht die Gesundheit aller, besonders die Gesundheit der Armen. Neue Konflikte sind aufgeflammt, während Massenvernichtungswaffen weiterhin die Menschheit bedrohen.
Die Ressourcen dieser Welt konzentrieren sich zunehmend in den Händen einiger weniger, die danach streben, ihre privaten Profite zu maximieren. Neoliberale Politik und Wirtschaftspolitik werden von einer kleinen Gruppe mächtiger Regierungen sowie von internationalen Institutionen wie der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds und der Welthandelsorganisation gemacht. Diese Politik hatte – zusammen mit den unkontrollierten Aktivitäten transnationaler Konzerne – schwerwiegende Auswirkungen auf das Leben und das Auskommen, die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen sowohl im Norden als auch im Süden.
Die öffentlichen Einrichtungen erfüllen nicht die Bedürfnisse der Menschen – nicht zuletzt, weil sie in Folge von Kürzungen des staatlichen Sozialbudgets verkommen sind. Gesundheitsdienste sind schwerer zugänglich geworden, ungleichmäßiger verteilt und unzulänglicher.
Privatisierungstendenzen drohen den Zugang zur Gesundheitsversorgung noch mehr zu untergraben. Sie weichen das elementare Gleichheitsprinzip auf. Die Tatsache, dass vermeidbare Krankheiten immer noch auftreten, dass Krankheiten wie Tuberkulose und Malaria wieder vermehrt vorkommen und dass neue Seuchen wie HIV/Aids auftauchen und sich ausbreiten zeigt überdeutlich, dass die Prinzipien von Gleichheit und Gerechtigkeit in unserer Welt nicht ernst genug genommen werden.
Grundsätze der Gesundheitscharta der Völker
- Die Verwirklichung des höchstmöglichen Maßes an Gesundheit und Wohlbefinden ist ein fundamentales Menschenrecht, ungeachtet der Hautfarbe, der ethnischen Herkunft, der Religion, des Geschlechtes, des Alters, der persönlichen Fähigkeiten, der sexuellen Orientierung oder Klassenzugehörigkeit eines Menschen.
- Die Grundsätze einer universellen, umfassenden Basisgesundheitsversorgung (Primary Health Care), wie sie in der Erklärung von Alma Ata 1978 vorgezeichnet wurde, sollte die Basis für die Gestaltung von Gesundheitspolitik sein. Mehr denn je ist heute ein gerechter, partizipatorischer und sektorübergreifender Ansatz für Gesundheit und die Gesundheitsversorgung erforderlich.
- Regierungen haben eine grundlegende Pflicht, den allgemeinen Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung, zu Bildung und anderen sozialen Diensten sicherzustellen, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden und nicht von ihren finanziellen Möglichkeiten abhängen dürfen.
- Die Beteiligung der Bevölkerung und ihrer Organisationen an der Entwicklung, Umsetzung und Evaluierung in allen Feldern und Programmen der Gesundheits- und Sozialpolitik ist unverzichtbar.
- Gesundheit wird in erster Linie durch politische, ökonomische, soziale Faktoren und die unmittelbare Lebensumwelt bestimmt. Sie sollte – neben Gerechtigkeit und nachhaltiger Entwicklung – höchste Priorität in der lokalen, nationalen und internationalen Politik haben.
Ein Aufruf zum Handeln
Um der globalen Gesundheitskrise zu begegnen, müssen wir auf allen Ebenen ansetzen– individuell, in der Gemeinschaft, national, regional und global und in allen Bereichen. Die im folgenden aufgelisteten Forderungen stellen eine Grundlage für Aktionen dar.
Gesundheit als Menschenrecht
Der Gesundheitszustand einer Gesellschaft ist Spiegelbild ihres Bemühens um Gleichheit und Gerechtigkeit. Gesundheit und Menschenrechte sollten über ökonomische und politische Belange gestellt werden.
Diese Charta ruft Menschen in der ganzen Welt dazu auf:
- alle Bemühungen zu unterstützen, das Recht auf Gesundheit fest zu verankern.
- Regierungen und internationale Organisationen in die Pflicht zu nehmen, dass sie politische Programme und Praxis im Hinblick auf das Recht auf Gesundheit neu formulieren, ausführen und durchsetzen.
- auf breiter Basis Massenbewegungen aufzubauen und so Druck auf Regierungen auszuüben, damit sie Gesundheit und Menschenrechte in nationalen Verfassungen und der Gesetzgebung verankern.
- gegen die Ausbeutung menschlicher Gesundheitsbedürfnisse zum Zwecke der Gewinnerzielung kämpfen.
Gesundheitsdeterminanten im weitesten Sinn in Angriff nehmen
Ökonomische Herausforderungen
Die Wirtschaft hat maßgeblichen Einfluss auf die menschliche Gesundheit. Eine Wirtschaftspolitik, die Gerechtigkeit, Gesundheit und sozialem Wohlbefinden den Vorrang gibt, kann nicht nur die Gesundheit von Menschen, sondern auch ihre wirtschaftliche Situation verbessern.
Politische Programme, Finanz-, Agrar- und Industriepolitik, die hauptsächlich den Bedürfnissen des Kapitals dienen und durch nationale Regierungen und internationale Organisationen umgesetzt werden, entfremden Menschen von ihrem Leben und ihrer Lebensgrundlage. Der Prozess wirtschaftlicher Globalisierung und Liberalisierung hat die Ungleichheit zwischen und innerhalb von Nationen verstärkt.
Viele Länder der Welt, besonders die mächtigsten unter ihnen, nutzen ihre Möglichkeiten, einschließlich Wirtschaftssanktionen und militärische Interventionen, um ihre Position zu stärken und auszubauen, und das mit verheerenden Folgen für das Leben vieler Menschen.
Diese Charta ruft Menschen in der ganzen Welt dazu auf:
- die Umgestaltung der Welthandelsorganisation und der Welthandelsstrukturen zu fordern, damit die Verletzung von sozialen, Umwelt-, Wirtschafts- und Gesundheitsrechten von Menschen ein Ende hat und eine Bevorzugung der Länder des Südens im positiven Sinne beginnt. Um die öffentliche Gesundheit zu schützen, muss dieser Umwandlungsprozess Regelwerke zu geistigem Eigentum – wie Patente und die Verträge zu handelsbezogenen Aspekten von geistigen Eigentumsrechten (TRIPS) – einschließen.
- den Schuldenerlass für die Länder der Dritten Welt zu fordern.
- eine radikale Umgestaltung der Weltbank und des internationalen Währungsfonds zu fordern, damit diese Institutionen künftig die Rechte und Interessen von Entwicklungsländern widerspiegeln und aktiv fördern.
- effektive Gesetze zu fordern, die sicherstellen, dass transnationale Konzerne keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben, keine Arbeitskräfte ausbeuten, die Umwelt nicht zerstören oder die nationale Souveränität nicht verletzen.
- sicherzustellen, dass Regierungen eine Landwirtschaftspolitik verfolgen, die den Bedürfnissen der Menschen und nicht denen des Marktes angepasst ist, um dadurch Ernährungssicherheit und gleichen Zugang zu Nahrungsmitteln zu garantieren.
- zu verlangen, dass nationale Regierungen Maßnahmen ergreifen, um das Recht auf öffentliche Gesundheit in der Gesetzgebung zum geistigem Eigentum zu verankern.
- die Kontrolle und Besteuerung des internationalen spekulativen Kapitalflusses zu verlangen.
- darauf zu bestehen, dass Bereiche der Wirtschaftspolitik hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf Gesundheit, Gleichheit, Geschlechterverhältnis und Umwelt untersucht werden und dass einklagbare Regelungsmechanismen verankert werden, die eine Einhaltung dieser Regeln sicherstellen.
- wachstumsorientierte Wirtschaftstheorien in Frage zu stellen und sie durch alternative Theorien zu ersetzen, deren Leitbild humane und nachhaltige Gesellschaften sind. Wirtschaftstheorien sollten Grenzen der Umweltbelastung berücksichtigen sowie die fundamentale Bedeutung von Gleichheit und Gesundheit und den Beitrag unbezahlter Arbeit, vor allem die nicht beachtete Arbeit von Frauen.
Soziale und politische Herausforderungen
Eine umfassende Sozialpolitik hat positiven Einfluss auf Leben und Lebensunterhalt der Menschen. Wirtschaftliche Globalisierung und Privatisierung haben Gemeinschaften, Familien und Kulturen tiefgreifend erschüttert. Frauen haben in allen Gesellschaften wesentlichen Anteil am Erhalt des sozialen Gefüges. Dennoch werden ihre Grundbedürfnisse oft ignoriert oder geleugnet und ihre Rechte und ihre Persönlichkeit verletzt.
Öffentliche Einrichtungen wurden allmählich zugrunde gerichtet und geschwächt. Viele ihrer Aufgaben wurden auf den privaten Sektor übertragen, insbesondere auf Unternehmen oder auf andere nationale und internationale Institutionen, die der Bevölkerung kaum Rechenschaft schuldig sind. Außerdem wurde die Macht von politischen Parteien und Gewerkschaften stark beschnitten, während konservative und fundamentalistische Kräfte Aufwind bekommen. Partizipatorische Demokratie sollte in politischen Organisationen und zivilen Strukturen gedeihen. Es ist dringend notwendig, Transparenz und Verantwortlichkeit zu fördern und zu gewährleisten.
Diese Charta ruft Menschen in der ganzen Welt dazu auf:
- die Entwicklung und Umsetzung einer umfassenden Sozialpolitik unter voller Beteiligung der betroffenen Menschen zu verlangen und zu unterstützen.
- zu gewährleisten, dass alle Frauen und alle Männer das gleiche Recht auf Arbeit, Auskommen, Freiheit der Meinungsäußerung, politische Teilhabe, Religionsfreiheit, Bildung und körperliche Unversehrtheit haben.
- Regierungen unter Druck zu setzen, damit sie eine Rechtsprechung einführen und forcieren, die die physische, psychische und spirituelle Gesundheit sowie die Menschenrechte marginalisierter Gruppen schützt und fördert.
- zu fordern, dass Bildung und Gesundheit ganz oben auf die politische Agenda gesetzt werden. Das bedeutet kostenlose, qualitativ hochwertige Ausbildung und Schulpflicht für alle Kinder und Erwachsenen, insbesondere für Mädchen und Frauen, sowie qualifizierte Betreuung und Erziehung für Kleinkinder.
- zu verlangen, dass die Aktivitäten öffentlicher Institutionen wie Betreuungseinrichtungen für Kinder, Distributionssysteme für Nahrungsmittel und die Bereitstellung von Wohnraum der Gesundheit des Einzelnen und der Gesellschaft förderlich sind.
- jegliche Politik zu verurteilen und für ihre Aufhebung einzutreten, wenn sie zur Zwangsvertreibung von Menschen führt – sei es von ihrem Land, ihrem Zuhause oder ihrem Arbeitsplatz.
- fundamentalistische Mächte zu bekämpfen, die die Rechte und Freiheiten von Individuen, insbesondere das Leben von Frauen, Kindern und Minderheiten bedrohen.
- Gegen Sextourismus und internationalen Frauen- und Mädchenhandel zu kämpfen.
Herausforderungen im Umweltbereich
Wasser- und Luftverschmutzung, die rasche Klimaveränderung, das Ozonloch,
Atomenergie und atomarer Müll, giftige Chemikalien und Pestizide, Verlust der Artenvielfalt, Abholzung und Bodenerosion haben weitreichenden Einfluss auf die Gesundheit der Menschen. Die tieferliegenden Ursachen dieser Zerstörung liegen im Raubbau an natürlichen Ressourcen, im Fehlen einer langfristigen ganzheitlichen) Vision, der Ausbreitung des Individualismus und profitorientierter Verhaltensweisen und dem Überkonsum der Reichen. Diesem Prozess der Zerstörung muss sofort und effektiv Einhalt geboten und eine Umkehr eingeleitet werden.
Diese Charta ruft Menschen in der ganzen Welt dazu auf:
- transnationale und nationale Konzerne, öffentliche Einrichtungen und das Militär für ihre zerstörerischen und gefährlichen Aktivitäten, die die Umwelt und die Gesundheit der Menschen gefährden, zur Rechenschaft zu ziehen.
- zu verlangen, dass sämtliche Entwicklungsprojekte auf ihre Gesundheits- und Umweltverträglichkeit geprüft werden, und dass Vorsicht und Zurückhaltung geübt werden, wann immer Technologien oder politische Handlungen eine mögliche Bedrohung für Gesundheit und Umwelt darstellen (Vorsorgeprinzip).
- von den Regierungen zu fordern, dass sie sich schleunigst zu einer Reduktion der Treibhausgase im eigenen Territorium verpflichten – und zwar in sehr viel größerem Umfang als das im internationalen Klimaschutzabkommen vereinbart wurde – ohne dabei riskante oder ungeeignete Technologien und Praktiken einzusetzen.
- sich dem Export gefährlicher Industrien, toxischer und radioaktiver Abfälle in ärmere Länder und marginalisierte Gemeinschaften zu widersetzen und Lösungen zu fördern, die das Müllaufkommen minimieren.
- den Überkonsum sowie nicht zukunftsfähige Lebensstile im Norden wie im Süden zu reduzieren. Auf reiche Industriestaaten Druck auszuüben, dass sie ihren Konsum und die Umweltverschmutzung um 90 Prozent reduzieren.
- Maßnahmen zu fordern, die Gesundheit und Sicherheit im Beruf garantieren, einschließlich einer von den Arbeitenden geprägten Überwachung der Arbeitsbedingungen.
- Maßnahmen zu fordern, die Unfälle und Verletzungen am Arbeitsplatz, in der Öffentlichkeit und zu Hause verhindern.
- Patente auf Leben abzulehnen und die Bio-Piraterie von traditionellem und indigenem Wissen und von zugrundeliegenden Ressourcen zu bekämpfen.
- Gemeindeorientierte Indikatoren menschlicher Entwicklung zu entwickeln, die Fortschritt im sozialen und Umweltbereich messbar machen; auf die Entwicklung und Einführung regelmäßiger Rechenschaftsberichte zu drängen, die den Grad der Umweltzerstörung und den Gesundheitszustand der Bevölkerung messen.
Krieg, Gewalt, Konflikte und Naturkatastrophen
Krieg, Gewalt, Kämpfe und Naturkatastrophen zerstören Gemeinwesen und verletzen die Würde der Menschen. Sie haben schwere Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit der Betroffenen, besonders auf Frauen und Kinder. Eine forcierte Aufrüstung und ein aggressiver und korrupter internationaler Waffenhandel unterminieren die soziale, politische und wirtschaftliche Stabilität. Sie verhindert auch, dass genügend Ressourcen für den sozialen Sektor zur Verfügung stehen.
Diese Charta ruft Menschen in der ganzen Welt dazu auf:
- Kampagnen und Bewegungen für Frieden und Abrüstung zu unterstützen.
- Kampagnen gegen Gewalt sowie gegen die Forschung, die Produktion, das Testen und den Gebrauch von Massenvernichtungswaffen und anderen Waffen, einschließlich aller Arten von Landminen, zu unterstützen.
- Basisinitiativen zu unterstützen, die einen gerechten und dauerhaften Frieden anstreben, und das besonders in Ländern, die Bürgerkrieg und Genozid erlitten haben.
- den Einsatz von Kindersoldaten, Missbrauch und Vergewaltigung, Folter und Mord an Frauen und Kindern zu ächten.
- das Ende militärischer Besetzung zu verlangen, da sie zu den zerstörerischsten Maßnahmen für die menschliche Würde gehört.
- gegen die Militarisierung humanitärer Hilfe zu kämpfen.
- die radikale Umgestaltung des UN- Sicherheitsrates zu fordern, damit er nach demokratischen Spielregeln funktioniert.
- zu fordern, dass die Vereinten Nationen und einzelne Staaten alle Arten von aggressiven Sanktionen aufheben, die die Gesundheit der Zivilbevölkerung beeinträchtigen können.
- unabhängige Bürgerinitiativen zu ermutigen, ihre Nachbarschaften, Gemeinden und Städte zu Friedensregionen und waffenfreien Zonen zu erklären.
- Aktionen und Kampagnen zu unterstützen, die aggressives und gewalttätiges Verhalten – besonders bei Männern – verhindern und vermindern sowie die friedliche Koexistenz fördern.
- Aktionen und Kampagnen zu unterstützen, die Naturkatastrophen verhindern und das daraus resultierende menschliche Leiden lindern wollen.
Ein bürgerorientierter Gesundheitssektor
Diese Charta ruft zur Verwirklichung einer allgemeinen und umfassenden Basisgesundheitsversorgung auf, die unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen zugänglich ist. Gesundheitsdienste müssen demokratisch und verantwortlich arbeiten und über ausreichend Mittel verfügen, ihre Ziele zu erreichen.
Diese Charta ruft Menschen in der ganzen Welt dazu auf:
- internationale und nationale Politik zu bekämpfen, die Gesundheitsversorgung privatisiert und sie zur Ware macht.
- zu fordern, dass Regierungen eine umfassende Basisgesundheitsversorgung – als effektivste Methode zur Bewältigung von Gesundheitsproblemen und zur Organisation öffentlicher Gesundheitsdienste – fördern, finanzieren und verwirklichen, damit ein freier und allgemeiner Zugang gewährleistet ist.
- Regierungen unter Druck zu setzen, damit sie eine nationale Gesundheits- und Arzneimittelpolitik beschließen, umsetzen und verbessern.
- Regierungen aufzufordern, dass sie der Privatisierung öffentlicher Gesundheitseinrichtungen widerstehen und für eine effektive Regulierung des privaten medizinischen Sektors, einschließlich wohltätiger und NRO-Einrichtungen, sorgen.
- den radikalen Wandel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu fordern, so dass sie den Herausforderungen an die öffentliche Gesundheit in einer Weise gerecht wird, die den Armen zugute kommt, vertikale Ansätze vermeidet, intersektorale Arbeit ermöglicht, Betroffenen-Organisationen in die Weltgesundheitsversammlung einbezieht und Unabhängigkeit von Firmeninteressen gewährleistet.
- Aktionen zu fördern, zu unterstützen und an ihnen teilzunehmen, die den Betroffenen Macht geben und ihnen die Kontrolle über gesundheitspolitische Entscheidungsprozesse auf allen Ebenen gewähren, auch über PatientInnen- und VerbraucherInnenrechte.
- traditionelle und ganzheitliche Heilmethoden und HeilerInnen sowie ihre Integration in die Basisgesundheitsversorgung zu unterstützen, anzuerkennen und zu fördern.
- einen Wandel in der Ausbildung der Beschäftigten des Gesundheitswesens zu fordern, damit sie problem- und praxisorientiert arbeiten können, den Einfluss globaler Faktoren auf ihr Gemeinwesen besser verstehen und ermutigt werden, in der Gemeinschaft und mit Respekt vor ihr und ihrer Vielfältigkeit zu arbeiten.
- Technologien im Bereich Medizin und Gesundheit (einschließlich der Medikamente) zu entmystifizieren und zu fordern, dass sie den Bedürfnissen der Menschen zu dienen haben.
- zu verlangen, dass medizinische Forschung, einschließlich genetischer Forschung sowie der Entwicklung von Medikamenten und reproduktiven Technologien, auf partizipatorische, bedürfnisorientierte Weise von verantwortungsbewussten Institutionen durchgeführt wird. Sie sollte sich am Menschen und an der öffentlichen Gesundheit orientieren und allgemeingültige ethische Prinzipien respektieren.
- das Menschenrecht auf reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung zu unterstützen und sich gegen alle Zwangsmaßnahmen als Mittel einer Bevölkerungs- und Familienpolitik zu wenden. Diese Unterstützung gilt auch dem Recht auf das volle Spektrum sicherer und wirksamer Methoden der Schwangerschaftskontrolle.
Bürgerbeteiligung für eine gesunde Welt
Starke BürgerInnenorganisationen und –bewegungen sind eine wesentliche Basis für demokratischere, transparente und verantwortliche Entscheidungsprozesse. Die Garantie ziviler Bürgerrechte, ökonomischer, sozialer und kultureller Rechte ist von grundlegender Bedeutung. Während in erster Linie die Regierungen verantwortlich sind, den gleichen Zugang zu Gesundheit und Menschenrechten zu fördern, spielen viele zivilgesellschaftliche Gruppen und Bewegungen sowie die Medien eine entscheidende Rolle dabei, die Macht der BürgerInnen zu garantieren und ihre Kontrolle über die Entwicklung politischer Inhalte und deren Umsetzung zu gewähren.
Diese Charta ruft Menschen in der ganzen Welt dazu auf,
- BürgerInnenorganisationen aufzubauen und zu stärken, um eine Basis für Analyse und Aktion zu schaffen.
- fördert, unterstützt und beteiligt euch an Aktionen, die BürgerInnen ermutigen, sich in den Prozess der Entscheidungsfindung auf allen Ebenen öffentlicher Einrichtungen einzumischen.
- zu verlangen, dass BürgerInnenorganisationen in lokalen, nationalen und internationalen gesundheitsrelevanten Foren vertreten sind.
- lokale Initiativen, die sich für eine partizipative Demokratie einsetzen, durch den Aufbau bürgerInnenorientierter Solidaritätsnetzwerke in aller Welt zu unterstützen.
Die People’s Health Assembly und ihre Charta
Die Idee einer People’s Health Assembly (PHA) wurde über mehr als ein Jahrzehnt hinweg diskutiert. 1998 leitete eine Gruppe von Organisationen den PHA-Prozess ein und begann mit der Planung einer großen internationalen Versammlung, die Ende 2000 in Bangladesh stattfand. Eine Reihe von vor- und nachbereitenden Aktivitäten der Versammlung wurde initiiert, darunter regionale Arbeitsgruppen, eine Sammlung persönlicher Zeugnisse zum Thema Gesundheit und der Entwurf einer Gesundheitscharta.
Die jetzt vorliegende Charta basiert auf der Perspektive von BürgerInnen und BürgerInnenorganisationen aus der ganzen Welt und wurde auf der Versammlung in Savar, Bangladesh, im Dezember 2000, erstmals beschlossen und zur Unterzeichnung ausgelegt.
Die Charta ist Ausdruck unserer gemeinsamen Sorge, unserer Vision einer besseren und gesünderen Welt und unseres Aufrufs zu radikalem Handeln. Sie ist ein Werkzeug der Verteidigung und ein Anziehungspunkt, um den herum sich eine weltweite Gesundheitsbewegung sammeln kann und um den andere Netzwerke und Koalitionen entstehen können.
Macht mit – unterzeichnet die Charta
Wir rufen alle Individuen und Organisationen auf, sich dieser weltweiten Bewegung anzuschließen und laden euch ein, die Gesundheitscharta der Völker zu unterzeichnen und an ihrer Umsetzung mitzuwirken.
PHA Sekretariat, e-mail: pha2000.org, website www.pha2000.org
Anhang
Nach der Unterzeichnung der Gesundheitscharta am 8. Dezember 2000, wurde die Vorbereitungsgruppe darauf aufmerksam gemacht, dass die Aktionspunkte Nummer 1 und 2 unter dem Kapitel Wirtschaftliche Herausforderungen so interpretiert werden könnten, dass dadurch die Sozialklausel der WTO unterstützt würde, die in Wirklichkeit nur dazu dient die WTO und ihre neoliberale Agenda zu stärken. Weil das die Forderungen der PHA nach einem Wandel der WTO und des globalen Welthandelssystems widersprechen würde, wurden die zwei Absätze zusammenfasst und erweitert.
Das Kapitel Krieg, Gewalt und Konflikte wurde um das Thema Naturkatastrophen erweitert. Ein neuer Aktionspunkt, in dieser Version Nummer 5, wurde hinzugefügt, um ein Ende der militärischen Besetzung zu fordern. Weiterhin wurde im Aktionspunkt Nummer 7 – jetzt Nummer 8 – wörtlich ergänzt alle Arten von Sanktionen aufheben. Ein zusätzlicher Aktionspunkt Nummer 11 bezüglich Naturkatastrophen wurde eingefügt.
Der Bundeskongress entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (BUKO) ist ein Netzwerk von über 200 Dritte Welt Gruppen in Deutschland. 1980 begann der BUKO eine Kampagne gegen unvertretbare Geschäftspraktiken international tätiger Pharmakonzerne. Die Pharma-Kampagne des BUKO setzt sich für einen rationalen Gebrauch von Arzneimitteln ein. Sie arbeitet mit ÄrztInnen und PharmazeutInnen, Verbrauchergruppen und StudentInnen zusammen. Die BUKO Pharma-Kampagne hat durch die Mitarbeit im Netzwerk Health Action International (HAI) Kontakt mit Gruppen in über 70 Ländern in aller Welt.
BUKO Pharma-Kampagne, August-Bebel-Str. 62, D‑33602 Bielefeld, Fax 0521-63789, e-mail: bukopharma@compuserve.com
Internet www.epo.de/bukopharma
Bankverbindung: Gesundheit und Dritte Welt e.V., Sparkasse Bielefeld (BLZ 48050161) l Konto: 105601 l Spendenkonto: 105627
Impressum:
BUKO Pharma-Kampagne
copyright für die Übersetzung: BUKO Pharma-Kampagne und Ärzte ohne Grenzen2001, Beilage zum Pharma-Brief 2-3/2001
Übersetzung: Ulla Becker Redaktion: Claudia Jenkes, Jörg Schaaber Layout und Fotos: Jörg Schaaber
Wir danken Ärzte ohne Grenzen (MSF) für die Übersetzung.